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„Reichsbürger”

Hier zu lesende Beiträge müssen nicht stets auf unsere Arbeit bezogen sein. Manchmal nutzt man nur eine Plattform wie die vorliegende, um seinen Standpunkt und seine Meinung für den, den es interessiert, zu veröffentlichen. So auch jetzt.

Dabei ist der Anlass nicht drängend. Es soll etwa 19.000 Angehörige der Reichsbürgerbewegung geben, dies innerhalb von etwa 15 Prozent der erwachsenen Gesamtbevölkerung, die mit unterschiedlichen Begründungen seit Jahrzehnten die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland ablehnen. Wenn schon die 15 Prozent innerhalb von 70 Jahren die politische Ordnung nicht bleibend beschädigt haben, dann muss man sich wegen 19.000 Personen keine Sorgen machen.

Gleichwohl darf man zum Thema der Reichsbürgerbewegung eine begründete Meinung besitzen wollen. Hierbei können die folgenden Ausführungen behilflich sein.

Vor allem vier Thesen spielen für die Reichsbürgerbewegung eine Rolle, die nachfolgend behandelt werden.

  1. Das Deutsche Reich besteht fort.

Die wichtigste und namensgebende These der Bewegung. Die Weimarer Reichsverfassung von 1919 sei niemals abgeschafft worden, weshalb das Deutsche Reich bestehe, aber nicht handlungsfähig sei. Es bedürfe deshalb einer kommissarischen Reichsregierung, wofür dann gelegentlich die eigene Person des “Reichsbürgers” als besonders geeignet und deshalb berufen erscheint.

Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 31.07.1973 (2 BvF 1/73) ausgeführt:

„Das Grundgesetz … geht davon aus, dass das Deutsche Reich den Zusammenbruch 1945 überdauert hat und weder mit der Kapitulation noch durch Ausübung fremder Staatsgewalt in Deutschland durch die alliierten Okkupationsmächte noch später untergegangen ist; das ergibt sich aus der Präambel, aus Art. 16, Art. 23, Art. 116 und Art. 146 Grundgesetz. Das entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, an der der Senat festhält. Das Deutsche Reich existiert fort …, besitzt nach wie vor Rechtsfähigkeit, ist allerdings als Gesamtstaat mangels Organisation, insbesondere mangels institutionalisierter Organe selbst nicht handlungsfähig. … Mit der Errichtung der Bundesrepublik Deutschland wurde nicht ein neuer westdeutscher Staat gegründet, sondern ein Teil Deutschlands neu organisiert. … Die Bundesrepublik Deutschland ist also nicht „Rechtsnachfolger“ des Deutschen Reiches, sondern als Staat identisch mit dem Staat “deutsches Reich”, – in Bezug auf seine räumliche Ausdehnung allerdings “teilidentisch“, so dass insoweit die Identität keine Ausschließlichkeit beansprucht.”

Vom Standpunkt eines „Reichsbürgers” wird das nicht überzeugen, weil das der Falsche geäußert hat, nämlich eine Institution der bekämpften oder ignorierten Bundesrepublik Deutschland. Für ihn schalten wir argumentativ einen Gang zurück, heraus aus der Rechtsordnung der Bundesrepublik hinein in die Staatswissenschaft. Da geht es um die Legalität der Staatsgewalt. Die hat in der Praxis nie einen reinrassig legalen Stammbaum. In der Regel steht am Anfang eines Staates und bei revolutionären Veränderungen nicht die formelle Gesetzmäßigkeit Pate, sondern die Macht des Erfolgs. Entscheidend ist, welche Gewalt sich als staatliche durchsetzt und zur politischen Existenz gelangt (Reinhold Zippelius, Allgemeine Staatslehre). Das ist keine ganz neue Erkenntnis, insbesondere stammt sie nicht von einem Apologeten der Bundesrepublik. „Der durch die Umwälzung geschaffenen neuen Staatsgewalt kann die staatsrechtliche Anerkennung nicht versagt werden. Die Rechtswidrigkeit ihrer Begründung steht dem nicht entgegen, weil die Rechtmäßigkeit der Begründung kein wesentliches Merkmal der Staatsgewalt ist. Der Staat kann ohne Staatsgewalt nicht bestehen. Mit der Beseitigung der alten Gewalt tritt die sich durchsetzende neue Gewalt an deren Stelle. Der geschilderte Verlauf der Revolution zeigt aber, dass die neue Gewalt sich nach Zerstörung der früheren Gewalt in herrschender Weise begründet und in stetiger organischer Fortentwicklung aufrecht erhalten hat.” Das ist ein Zitat aus dem Urteil des Reichsgerichts vom 08.07.1920 – III 53/20. Dieses Urteil betraf Ereignisse vom 12.11.1918. Die kaiserliche Regierung existierte nicht mehr, am 07.11.1918 hatte die Revolution eingesetzt und am 10.11.1918 hatte sich der Rat der Volksbeauftragten als neue Reichsregierung in Berlin gebildet.

Verglichen damit ging es bei der Schaffung des Grundgesetzes durch den parlamentarischen Rat buchstäblich zivil zu. Und mit gut 70 Jahren des Bestehens ist für deutsche Verhältnisse die Staatsgewalt auch bemerkenswert stabil.

Hiergegen zu behaupten, dass das Deutsche Reich nicht in anderer Form und mit anderen Inhalten in der Bundesrepublik Deutschland fortbestehe, ist nur Leugnung der tatsächlichen und der rechtlichen Realität. Entsprechend führen Handlungen von “Reichsbürgern”, die gegen die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland verstoßen, zur proportional schmerzhaften Kollisionen mit der Staatsgewalt.

  1. Deutschland ist besetzt.

Die Alliierten des Zweiten Weltkriegs würden Deutschland nach wie vor besetzen, weshalb die Haager Landkriegsordnung von 1907 gelte. Ein behördlicher Zahlungsbescheid sei deshalb Plünderung und wer kein Geld verdiente, habe deshalb nach der HLKO Anspruch auf „Sozialgeld”. Nichts davon trifft zu, mehr ist dazu nicht zu sagen.

  1. Deutschland hat keinen Friedensvertrag.

Der Zwei-plus-Vier-Vertrag vom 12.09.1990 löste die letzten alliierten Hoheitsrechte in Deutschland ab (soviel noch zu 2.) und enthält inhaltlich die Bestimmungen eines Friedensvertrages. Auf seine Überschrift kommt es nicht an.

  1. Deutschland ist eine Art GmbH.

„Eine Art GmbH” kann es nur innerhalb einer der “GmbH“ vorgegebenen Rechtsordnung geben, also eine Hierarchiestufe tiefer. Die Struktur der Bundesrepublik Deutschland ist aber identisch mit der Rechtsordnung, nicht eine Stufe tiefer. Deshalb gelten beispielsweise Steuerrecht, Staatsbürgerschaftsrecht und Strafrecht unmittelbar und verbindlich auch für diejenigen, die sich für „Reichsbürger” halten.

Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Klünder